Carpentras 2018 - Der erste Lateiner in Carpentras
seit knapp 2000 Jahren
von Jan Wünsche
Ich glaube, auf eine
schrägere Idee war ich noch nie gekommen. Mehr aus Witz antwortete ich auf Frau
Conrads Frage 2017, ob denn auch jemand einen Franzosen aufnehmen könne. So nahm
ich 2017 meinen guten Freund Maxime Labalette auf, den ich Ostern 2019 in Paris
(wo er jetzt studiert) besuchte und auch jetzt noch viel Kontakt zu ihm habe. Da
ich damals nur einen Franzosen aufgenommen habe, durfte ich als Ausgleich beim
nächsten Austausch 2018 mit nach Carpentras fahren. Doch nun ist die Frage:
Warum ist das so besonders?
Ich sitze jetzt im
Latein LK und habe in der Schule nie Französisch gemacht. Ich bin also auf
einen Austausch gefahren, wo Französisch die vorherrschende Sprache sein sollte
und ich mit meinen paar Vokabeln eigentlich nicht weit kommen konnte. Doch es
kam anders…
Der Austausch begann
mit einer langen und sehr arbeitsreichen Zugfahrt. Greta Lücke und Pia
Hirschfeld hatten sich vorgenommen, meinen Wortschatz mit einer drei Seiten
langen Vokabelliste zu verdoppeln, was auch ziemlich gut geklappt hat. Da wir
viel Zeit auf der Zugfahrt hatten, haben wir nicht nur gelernt, sondern auch
Spiele gespielt.
Nach Umstiegen in u.a.
in Baden-Baden kamen wir am Donnerstagabend, dem 11. Januar 2018 in Avignon an.
Ab da begann für mich das Abenteuer.
Die Stunden danach
haben mich sehr überrascht: Ich hatte nicht erwartet, dass die Familie Roux so
sehr um mich bemüht war. Die Hauptkommunikationsmittel waren Gesten, meine paar
Brocken Französisch, die Deutschkenntnisse meines Austauschschülers und seiner
Mutter und die Englisch Fähigkeiten meines Gastvaters. Am hilfreichsten war
aber der Google Übersetzer, der mich oft genug gerettet hat und mir
verständlich gemacht hat, was am nächsten Tag ansteht.
Der nächste Tag begann
mit einer Stadttour durch das schöne Carpentras und wir besuchten die alte
Synagoge und das Tourismusbüro, wo man viel über die Umgebung und die
Geographie in und um Carpentras lernte. Danach waren wir beim Bürgermeister
eingeladen, der natürlich alle auf Französisch begrüßte. Davon verstand ich
natürlich nichts, also ließ ich das sehr beeindruckende Rathaus auf mich
wirken. Plötzlich teilte sich die Menschenmenge vor mir und alle schauten mich
an. Ich verstand gar nichts, bis mir Greta von der Seite zuflüsterte, dass es dieses
Jahr einen „Nichtfranzosen“ beim Austausch gab und dies eine Besonderheit sei.
Als ich verstand, dass es um mich ging, lächelte ich und winkte in die Runde.
Ab da wurde mir klar: Es wird doch schwerer als erwartet.
Den Samstag und den
Sonntag verbrachten wir vor allem in den Familien, ich begleitete meinen
Austauschpartner zu einem seiner BMX Turniere und durfte das erste Mal ein
richtiges Rugby Spiel sehen. Ich bin ein großer Rugby Fan und mein Tag wurde legendär,
als mir Pierre, ein Teilnehmer des Austauschs und ehemaliger Spieler des
Vereins beim dem wir waren, seine alte Hose und seine Stutzen schenkte. Als ich
mir dann noch das Trikot des Vereins kaufte, war der Tag komplett. Eines Abends
am Wochenende trafen wir uns bei Maxime, meinem alten Austauschschüler und
spielten Lasertag in einer Halle in der Nähe von Maximes Wohnort, der etwas
außerhalb lag. Wir bekamen ziemlich einen drauf, es war erkennbar das die
Franzosen das öfter machen als wir. Danach saßen wir noch bei Maxime zuhause
und aßen gemeinsam Abendessen.
Am Montag begaben wir
uns nach Marseille, einer der größten Städte Südfrankreichs und direkt am
Mittelmeer gelegen. Wir fuhren mit dem Bus und nach gut einer Stunde Fahrt
erreichten wir Marseille. Dort besuchten wir MuCEM, das Museum für Zivilisation
Europas und des Mittelmeers in Marseille. Den Ausblick oben vom Museum war
gewaltig, es war Mitte Januar, aber wir saßen mit fast 20° C auf dem Dach,
haben die Sonne genossen und auf das Mittelmeer geschaut. Danach gab es noch
eine Busfahrt durch Marseille, ich war erstaunt wie hügelig diese Stadt war.
Das Ende dieser Fahrt war auf der „Basilika Notre Dame de la Garde“ und
bescherte uns einen wunderschönen Blick über Marseille und unzähligen
Gelegenheiten für Fotos.
Am Abend fielen wir
alle erschöpft und überglücklich in unsere Betten, für mich persönlich war die
Fahrt nach Marseille eines der Highlights des Austausches.
Am Dienstag besuchten
wir eine die Bonbonfabrik, die die für Carpentras berühmten „Berlingots“, einer
der ältesten Süßigkeiten Frankreichs. Wir durften zuschauen, wie diese Bonbons
gemacht und auch gekocht werden. Zwar musste Johnny oftmals für mich
übersetzen, doch trotzdem konnte ich viel mitnehmen. Danach besuchten wir den
Schulunterricht, Pia und ich saßen beide im Französischunterricht. Ich verstand
nichts und war etwas gelangweilt, aber der französischen Sprache zuzuhören hat
schon gereicht um es für mich interessant zu gestalten. Danach nahm ich mit meinem
Austauschschüler am Biounterricht teil, die Art und Weise des Unterrichts war
erstaunlicherweise dem deutschen Biologieunterricht sehr ähnlich. Auch besuchte
ich als Lateiner den Lateinunterricht in der Schule. Dies war allerdings eine
kleine Enttäuschung: Der Unterricht glich mehr einer Latein AG für
Viertklässler, anstatt Texte zu übersetzen spielten wir „Hangman“ mit
lateinischen Autoren und Politikern. Dies war zwar ganz lustig, aber dort
konnte man sehr gut sehen: Der Lateinunterricht hat in unserem Bildungssystem
einen höheren Stellenwert als im Französischen.
Am letzten vollen Tag
besuchten wir eine weitere große Französische Stadt: Avignon. Wir schlenderten
durch die Gassen und bestaunten die Altstadt von Avignon. Wir aßen Macarons und
besuchten die „Pont Saint-Benezet“, besonders bekannt aus dem französischen Volkslied
„Sur le pont d` Avignon“ aus dem 15. Jahrhundert.
Nach dem Besuch in den
großen Markthallen von Avignon kam das Highlight: Der Besuch im „Palais des
Papes“, der von 1335 bis 1430 die Residenz verschiedener Päpste und auch
Gegenpäpste war. Für uns alle war es beeindruckend, das gigantische Gebäude von
innen zu betrachten. Es war zwar nicht mehr viel Inneneinrichtung vorhanden,
beeindruckend war jedoch die schiere Größe des Palastes mit seinem riesigen
Innenhof.
So langsam setzte bei
uns allen das Gefühl ein, dass diese großartige Zeit bald zu Ende ging.
Dieses Gefühl wurde am
nächsten Tag Realität: Wir verabschiedeten uns am Bahnhof und begaben uns auf
den Rückweg. Wir hatten schon vorher die Wettermeldungen verfolgt und waren
beunruhigt, wie denn unsere Reise weitergehen sollte. Während der Fahrt
verfolgten wir aufmerksam die Nachrichten, bis kurz vor Karlsruhe (im TGV) sah
es auch noch gut aus. Kurz vor Karlsruhe
dann der Schock: Alle Züge der DB im Fern und Nahverkehr fielen aus. Die
Aufregung war groß und Fragen wurden gestellt: Sollten wir hier noch in
Karlsruhe bleiben? Sollten wir wirklich mit Taxis weiterfahren? Wir entschieden
uns für eine mehrstündige Taxifahrt und kamen völlig erschöpft, aber
überglücklich in Seesen am Bahnhof an. Wir hatten alle viel zu erzählen.
Man kann sagen: Ich
habe mich in Frankreich verliebt. Ich bin vorher mit manchen Vorurteilen in
diesen Austausch gegangen, doch die Franzosen die ich kennen lernen durfte
haben mir ein Bild von Frankreich gezeigt, dass ich nie vergessen werde: Ein
offenes, gastfreundliches und liebenswertes Volk. Selbst wenn man die Sprache
nicht spricht, hat man doch Chancen sich zu verständigen und Freunde zu finden.
Den besten Käse meines Lebens aß ich in Frankreich und ich habe herausgefunden:
Selbst der Wein der Franzosen in Tetrapacks schmeckt besser als so mancher Wein
aus der Flasche in Deutschland.
Es lohnt sich immer, einen Austausch zu machen.
Und es ist sekundär, ob ihr die Sprache sprecht oder nicht. Wichtig ist nur:
Dass ihr mit ganzem Herzen dabei seid und die Zeit einfach genießt. Ich kann es
nur jedem empfehlen, egal ob Lateiner oder Franzose: Lebt dort für eine Woche,
wo andere Urlaub machen. Nehmt eine andere Kultur wahr und findet Freunde, zu
denen ihr länger Kontakt haben werdet. Ich kann mit gutem Gewissen sagen:
Carpentras war der beste Austausch, den ich während meiner ganzen Schullaufbahn
erleben durfte.